Sabine Gamper 2007
zur Ausstellung: Metaphysische Trugschlüsse
im Magazin Kerbl, Bozen
Brigitte Mahlknecht präsentiert in dieser Ausstellung Zeichnungen und Malereien der letzten 2 Jahre, die in unterschiedlichen Orten entstanden sind: in New York, Wien, Bozen, etc. Der Moment dieser Ausstellung ist nicht zufällig gewählt, es handelt sich hier um eine Art Rückschau, um ein Innehalten und Sortieren, beinahe um eine Bilanz der Künstlerin in Bezug auf ihre künstlerische Tätigkeit der letzten Jahre. Und gleichzeitig gewährt uns Brigitte auch schon einen ersten Eindruck in das, was in Zukunft kommen wird.
Brigitte Mahlknecht ist in ihrer Kunst eine Forschende, sie beschäftigt sich mit Gegenständen, Sachverhalten, mit Zusammenhängen oder Gemütszuständen, als eine Person, die der Welt mit Neugier und Interesse begegnet. Sie nähert sich den Sachverhalten ihres Interesses jedoch nicht als Wissenschaftlerin, sondern in erster Linie als Zeichnerin. Anhand der Zeichnung macht sich Brigitte die Welt zu Eigen, erforscht Dynamiken und Zusammenhänge. In ihren Bildern lässt sie Raumsituationen entstehen, Stadtpläne, hybride Objekte und Formen, Mischwesen zwischen technischem Gerät, Pflanze und Tier, Dinge, die man schauend entdecken kann. Wenn Menschen in ihren Bildern vorkommen, dann sehr häufig abstrahiert wie Schablonen, sozusagen nicht als Individuen, sondern anhand ihrer Umrisse als Vertreter der menschlichen Gattung erkennbar.
Als „Forscherin“ geht Brigitte einen anderen Weg als den, den wir gemeinhin kennen: Neue Erkenntnis entsteht bei ihr nicht durch systematisches Erfassen, durch Aufreihen, Auflisten, Zählen und Ordnen. Brigitte nähert sich den Gegenständen ihres Interesses, indem sie sie auf den Kopf stellt, umdreht, mit fremden Elementen kombiniert, in ungewöhnliche Zusammenhänge stellt. Brigitte schafft ihre Erkenntnis durch Verwirrungen und durch Erfindungen. Der Titel der Ausstellung, der sich auf einen Satz von Hannah Arendt bezieht, spricht genau auf diese Haltung an: nur durch Metaphysische Trugschlüsse sind wir als Denker in der Lage, über unser Denken zu reflektieren.
Erst durch das Herausnehmen aus dem bekannten Kontext, durch den Vorgang der Dekonstruktion und die Entfremdung der Situation können wir neue Zugänge und Einblicke erlangen. Daher wird es auch möglich, dass wir ihre Bilder in unterschiedlicher Weise lesen können, je nachdem, wo wir beginnen zu schauen, oder wie unser Blick wandert. Ein Objekt, das im ersten Moment aussieht wie eine Zwiebel, könnte auf den zweiten Blick auch eine Qualle sein, oder vielleicht eine weibliche Brust oder gar eine Rakete usw. Diese tastende und freie Zugangsweise von Seiten des Betrachters ist legitim und ganz im Sinne der Künstlerin. Auch die Räume, die Brigitte Mahlknecht zeichnet, stellen ebenso unsere Sehgewohnheiten auf die Probe, da sie in keiner Weise den Gesetzen der Zentralperspektive gehorchen, sondern vielmehr die Normen des Euklidischen Raumes verlassen. Es ist so, wie wenn man das Sonnensystem verlässt, und Räume sich plötzlich beginnen zu drehen, sich spiralenförmig oder trichterförmig ausweiten, sich beschleunigen oder zu schwarzen Löchern verdichten. Dass Brigitte häufig auch mit Personen anderer Wissensgebiete zusammenarbeitet, wie z.B. mit Schriftstellern, das entspricht dieser Vorgangsweise des vernetzenden Denkens, und ihrer Eigenschaft, den Blick immer wieder über den Tellerrand zu wagen.
Wenn Brigitte vorwiegend zeichnet, hat das einen Grund: die Zeichnung entspricht einem Rhythmus, der parallel zur Handbewegung auch den Fluss der Gedanken anregt. Brigittes Arbeiten entstehen nicht anhand eines vorgefertigten Planes, sondern sie entstehen während des Arbeitens, in einem Prozess, in dem sich Konzentration, Handbewegung und der Fluss der Gedanken im Bild verdichten. Das bedeutet auch, dass Brigitte Mahlknecht die Komposition ihrer Bilder nicht so wichtig ist, als vielmehr die Beschäftigung mit einer ganz spezifischen Fragestellung in Bezug auf die Welt: z.B. was geschieht, wenn ich in zwei Räume gleichzeitig blicke? Was geschieht mit dem Raum? Und was mit dem Betrachter? Brigitte interessiert immer beides. Der Inhalt des Bildes, und das, was es mit dem Betrachter macht, bzw. die Wechselwirkung zwischen den beiden. Daher sind ihre Fragestellungen auch niemals im Bild selber abgeschlossen, sondern erfahren durch den Blick des Betrachters eine Fortsetzung.
Brigitte Mahlknecht präsentiert in der Ausstellung auch zwei Arbeiten, die uns einen Blick nach vorne gewähren, in das, was uns in Zukunft von ihr künstlerisch erwartet.
Bezeichnenderweise hat sie das Motiv dieser Arbeiten auch für die Einladungskarte gewählt. Es handelt sich um 2 Arbeiten aus einer Serie von Malereien, die auf Basis von Fotografien entstanden sind. Auch wenn Brigitte bereits seit Jahren die Fotografie in ihre künstlerische Praxis mit einbezieht, so ist diese direkte Bezugnahme doch neu. Die Bilder entstanden als Schnappschüsse von einem erhöhten Balkon aus, und zeigen einen Blick von oben auf eine Ansammlung von Menschen auf einem belebten öffentlichen Platz. Der Bildausschnitt der Malerei entspricht genau dem Fotoausschnitt, welcher wiederum als Schnappschuss einen zufälligen Augenblick wiedergibt, und nicht aufgrund einer langen Studie bzw. eines längeren Auswahlverfahrens entstand. Es handelt sich also um eine spontanen, zufälligen Blick auf eine dynamische, in Bewegung befindliche Ansammlung von Menschen. Die malerische Umsetzung dieser Situation, dieses Augenblickes, ist voller Kraft und Spannung, beinahe wie ein gemaltes Filmstill, jedoch abstrahiert. Nach Brigittes Manier sind die Menschen nicht fotorealistisch dargestellt, sondern nur anhand ihrer Umrisse erkennbar, und also nicht als Individuen im Bild präsent, sondern als Elemente in Bewegung. Es geht hier um die Distanzen der einzelnen zueinander, um die Dynamik und die Kräfte, die die Figuren untereinander verbindet. Diese Kräfte stellt Brigitte anhand von Strängen dar, die einige der Figuren miteinander verbindet. Die Arbeiten sind sehr kohärent in der Nachfolge der früheren Werke, und doch so überraschend neu. Wir können uns auf eine weitere sehr spannende Zeit in der künstlerischen Tätigkeit von Brigitte freuen.