Natascha Gruver 2011

Natascha Gruver
Rede zur Eröffnung der Ausstellung: Convergence in Probabilty, Nikolaus Gansterer, Brigitte Mahlknecht, in der Galerie Stadtpark Krems

Zeichnen und Prozesse des Zeichnens

Es ist mir eine große Freude und Ehre, dass ich heute Abend zur Ausstellungseröffnung der Galerie Stadtpark zu den Arbeiten von Nikolaus Gansterer und Brigitte Mahlknecht sprechen darf. Aus diesem Anlass möchte ich einige Themenfelder und Aspekte der ausgestellten Arbeiten des Künstlers und der Künstlerin, die Sie heute sehen werden, aufgreifen und in den Raum stellen. Es sind dies freilich nur einige Aspekte und Punkte innerhalb der vielschichtigen und komplexen Arbeiten und Arbeitsweisen von Mahlknecht und Gansterer, die mir von besonderem Interesse erschienen, und die ich hier kurz ansprechen möchte.
Das Thema der Ausstellung ist, wie wir schon gehört haben: Convergence In Probability, also "Konvergenz in Wahrscheinlichkeit". Was könnte man darunter verstehen, bzw. worauf könnte sich eine Konvergenz, könnten sich Konvergenzen, im Sinne von möglichen, wahrscheinlichen Annäherungen oder Berührungspunkten, beziehen?
Konvergenzlinien könnten zum einen sein mögliche gemeinsame Bezugspunkte der Arbeiten von Mahlknecht und Gansterer, vor allem in der Weise, wie und warum diese Arbeiten für die gegenwärtige Ausstellung ausgewählt und zusammengestellt wurden. Nämlich geht es hier um Prozesse des Zeichnens, um zeichnerische Praktiken als solche, um Zeichnen als Praxis.
Die Ausstellung und die vorliegenden Arbeiten befassen sich also mit zeichnerischen Prozessen, mit Praktiken des Zeichnens und Aufzeichnens. Die Frage was hier gezeichnet, aufgezeichnet, abgebildet wird, was die zeichnerischen Arbeiten von Mahlknecht und Gansterer als Spuren, als Spurensicherung festhalten will: ob Reales oder Imaginiertes, also die Frage nach der Repäsentation, tritt dabei in den Hintergrund. Denn Zeichnen wird von beiden KünstlerInnen nicht verstanden und praktiziert als mimetisches, abbildendes Verfahren, sondern als Suchbewegung, als Notationsbewegung, die ganz bestimmte Signaturen hervorbringt, ganz bestimmte Spuren hinterässt. Beide KuenstlerInnen zielen in ihrer Arbeit nicht auf mimetische Abbildung ab, und die Zeichnungen, die Sie hier sehen, sind keine geschlossenen Bildentitäten sondern Ausschnitte, Fragmente von Bildkontinuitäten. Beide KünstlerInnen thematisieren wissenschaftlich codierte Visualisierungsformen und verschieben damit den Fokus von den Objekten der Beobachtung auf Dispositive und Darstellungsformen von Beobachtung.

Notationen: Denken festhalten

- ist der erste Aspekt, den ich hier aufgreifen möchte: Zeichnen als Aufzeichnen, Notieren, als Skizzieren. Auch als Visualisieren von Gedanken, Erinnerungen, Träumen, von Gedankenspuren von Ideen- und Geistesblitzen. Zeichnen also nicht nur als eine ästhetische, sondern auch als kognitive, als denkerische Praxis.
Denn: Ideen, Einfälle, kreative, intellektuelle Geistesblitze fest zu halten, mittels Zeichen und Skizzen, ist eine der ersten Abstraktionsstufen des Denkens, und vor allem eine der ältesten Kulturtechnik des Menschen, die, wie viele meinen, die Entwicklung von Wissenschaft erst ermöglicht hat. Also der Übergang von der oralen Kultur zur Schriftkultur wird als Schritt in Richtung Zivilisation des Menschen gesehen. Die allerersten Aufzeichnungen, in Form von Höhlenzeichnungen, Stadtkarten usw. datieren auf Tausende von Jahren v. Chr. zurück. Die Rolle von Zeichen und Schrift, und das Verhältnis von gesprochener Sprache und Schrift hat auch der franz. Philosoph Jacques Derrida in seiner Grammatologie ausführlich durchgedacht.
Und in der Tat beginnt in den Wissenschaften, ob Mathematik, Physik, oder Philosophie (mein Hintergrund) oder in der Literatur und Musik (komponieren von Texten, Musikwerken) das intellektuelle, kreative Arbeiten mit dem Aufzeichnen von Ideen und Gedanken mittels Skizzen, Mind-maps, Piktogrammen, Notationen (siehe Musik, Choreographie) und dergleichen. Und dieser Moment, in dem Einfälle und Ideen spontan, unmittelbar auf Papier festgehalten werden, dieser Moment des unmittelbaren Aufzeichnens denkerischer, kreativer Prozesse, ist sehr wichtig hier.
Innerhalb der Philosophie, angefangen von Leibniz, (der Mathematiker, Techniker, Philosoph und Historiker in Personalunion war) bis hin zu L. Wittgenstein oder Charles S. Peirce (amerikanischer Philosoph und Semiotiker) war und ist das Visualisieren, Schematisieren und Strukturieren von Gedanken- und Argumentationsgängen mittels Skizzen integraler Bestandteil des wissenschaftlichen, intellektuellen Arbeitens.
An diesem Punkt, an dem ästhetische als auch wissenschaftliche, epistemologische Praktiken in einander fließen, sich gegenseitig hervorbringen, wird die Trennlinie zwischen Wissenschaft und Kunst unscharf. Hier werde ich also eine weitere Konvergenzlinie sehen, wo Wissenschaft und Kunst konvergieren, sich annähern, sich berühren.
Ich selber: am Anfang dieser Rede, als ich begonnen habe sie zu verfassen, stand diese Skizze:

Mein eigenes Denken, im konkreten meine Arbeit an Vorträgen, Vorlesungen usw. beginnt in der Regel mit einem visuellen Festhalten und Fixieren von Denkbewegungen, von Begriffs- und Argumentstrukturen, von begrifflichen Netzwerken und Zusammenhängen. Eine GedankenKarte entsteht. Hier, in dieser Skizze ist die Struktur der vorliegenden Rede für mich visualisiert dargestellt. Im weiteren Verlauf meiner Arbeit, sprich, in meinem Fall, des Schreibens, wird diese nicht-lineare, rhizomatische (durchaus auch chaotische) GedankenKarte in die Linearität eines Textes, eines Vortrages, einer Vorlesung, gebracht.

Im wissenschaftlichen Kontext, wie Tagung oder Lehrveranstaltung, bleibt diese Ideenskizze, GedankenKarte unerwähnt, obwohl gerade sie der Ausgangspunkt war, weil durch sie die weitere intellektuelle Arbeit, das weitere komponieren und choreographieren des zu schreibenden Textes, erst beginnen, erst in Gang gesetzt werden konnte.
Aber hier, im Kontext dieser Ausstellung und Ausstellungsseröffnung dachte ich, wo es eben gerade um Prozesse des Zeichnens und Aufzeichnens geht, und nicht nur um ästhetisch-künstlerische, sondern auch um wissenschaftliche, epistemologische (siehe Gansterer), dachte ich, wollte ich Ihnen diese meine GedankenKarte nicht vor enthalten. Ich könnte jetzt auch nur über diese GedankenKarte als Redeskizze sprechen, und den geschriebenen linearen Text beiseitelegen. Jedenfalls enthält diese Skizze alles, was ich Ihnen sagen möchte, sie enthält die gesamte Struktur der vorliegenden Rede.
Sie, die Skizze, gibt auch den Kontext ihrer Entstehung preis: wenn man das Blatt umdreht, sehen Sie da einen Angabenzettel. Es steht hier zu lesen: Prüfung zur VO, 2. Termin, 05.10. 2011, HS 42, 16:30 bis 18 Uhr. Während ich also letzten Mittwoch die Prüfung zur Vorlesung abgehalten habe ist diese Ideenskizze entstanden. Warum ist dieses Detail so erwähnenswert? Dazu möchte ich hier wieder auf den oben angesprochenen Punkt der Unmittelbarkeit zurück kommen, weil: ich hatte mich eben nicht hingesetzt, an meinem Schreibtisch, mit einem Blatt Papier vor mir und gesagt: so, jetzt konzipiere ich die Rede für Freitag. Ich hatte mich in den Tagen davor mit Materialien und Infos zur Ausstellung eingelesen und genug Wissen gesammelt. Aber irgendetwas in mir suchte einen Zustieg, der ganz im speziellen auch mit mir zu tun hat. Während der Prüfungsaufsicht, nahm ich, ganz spontan, einen der Angabenzettel, drehte ihn um, und dachte, eigentlich an nichts bestimmtes, sondern begann meine Gedanken zur Ausstellung als mind map zu skizzieren, als ich plötzlich erkannte: genau das ist es, darum geht es ja in der Ausstellung auch! um Zeichnen als Aufzeichnen, als Festhalten von Spuren; Zeichnen als "Spurensicherung": von Bewegung (Gansterer), von Erinnerung (Mahlknecht) oder von Gedanken in meinem Fall.
...

Bewegungsspuren - Erinnerungsspuren - Gedankenspuren

Während Gansterer wissenschaftliche Praxis und wissenschaftliche Bildgebungsverfahren inszeniert, greift Mahlknecht Dispositive der geographischen (Land)Karte auf, wobei bei Mahlknecht Räumlichkeit mehr aufgelöst und transzendiert als wiedergegeben wird. Und auch hier, bei Brigitte Mahnknecht, finden wir Zeichnen als eine Form, als eine Praxis des Denkens, finden wir den Prozess des Zeichnens nicht als mimetischen, sondern als denkerischen, kognitiven Akt. Die zeichnerischen Notationen die Mahlknecht in ihren Arbeiten entwickelt, ähneln dem Erscheinungsbild von geographischen Karten und Plänen. Die Zeichnungen zeigen Bildräume, Verflechtungen von Linien, Formen und Strukturen, die in dem Sinne nichts darstellen, aber fast immer als Landkarten interpretiert werden.Ausgangspunkt der Serie Ohne Titel (2006-2011) bilden Fragmente von Eindrücken. Mahlknecht bezieht sich dabei auf bei Nacht aus dem Flugzeug aus gesehene Landschaften. Der zeichnerische Prozess ist hier das schnelle unmittelbare, oder auch nachträgliche Aufzeichnen des Gesehenen. Mahlknechts Zeichnungen bewegen sich zwischen Erinnerung, Gesehenem und Imaginiertem.
Drei Karten, grau, rot, blau: organisches, rhizomatisches Gefüge, verschiedene Schichten. Man sieht hinein und hinauf, von oben, wie auch in die kartographischen Schichten und Lagen hinein; nicht monoperspektivisch, sondern polyperspektivisch. Die Zeichnungen erscheinen wie Ausschnitte eines Bildraumkontinuums, das in alle Richtungen hin offen ist.

Mahlknecht generiert hier transparente Raumlagen, die, wie Sie in den Arbeiten hier sehen, mit wenigen, feinen Linien angedeutet sind. Doch diese schichten sich zu einem architektonischen Gefüge, in dem verschiedene Raumlagen ineinander verschränkt werden. Die Bilder zeigen auch keine Einzelobjekte, sondern Makrostrukturen.
Sieben Karten, kleinformatig: wie Flugfelder, von oben, sehr fein, aufgezeichnet wie ein Seismograph, nachgeschrieben, und festgehalten, Spuren einer Landschaft von oben gesehen.Eine Karte großformatig: Flugfeld; Orbits, wie Längen- und Breitengrade eingeschrieben, biegen den imaginären Raum, legen Koordinaten ein. Spuren wovon? Von Ortschaften, Feldern, Straßen? Jemand der viel Zeit im Flugzeug verbringt (wie ich), weiß genau, woran diese Spuren erinnern.
Mahlknecht erstellt Zeichnungen als Karten mit komplexer, imaginär-räumlicher Tektonik. Unterschiedliche Raumlagen und Perspektiven werden ineinander verwoben. Der Blick in den Arbeiten von O.T. bringt orbitale, kartographische Aufsicht und Bodensicht zusammen. Man sieht sowohl auf die (imaginäre) Landschaft hinauf, als auch in sie hinein. Verschiedene Bilddispositive wie: geographische Karte, (Stadt)Plan, Landschaftsbild, werden in Mahlknechts Arbeiten fusioniert und synthetisiert, dabei Räumlichkeit und Objekthaftigkeit aufgelöst und abstrahiert. Mahlknecht selber beschreibt die Entwicklung ihrer Arbeiten im Projektzyklus O.T.: in den früheren Arbeiten der Serie (siehe Katalog Präkognition) waren noch Gegenstände zu sehen, z.B. Flugzeuge und andere technoide Objekte, über kartenartige Untergründe schwebend. Später wurde der Untergrund zum Hauptthema, rückte ins Zentrum ihres Interesses und die Objekte darauf verschwanden.
Ein anderer Zugang zum Kartenzeichnen ergibt sich aus Mahlknechts Gewohnheit, in Orten, wo sie neu ist, Karten zu erstellen, Pläne zu entwerfen, um sich Orientierung zu schaffen, um Strukturen zu suchen, in die sie sich einbinden kann, um ein Gefühl zu bekommen für den neuen Ort. Es sind Karten die Mahlknecht im Notiz/Skizzenbuch selbst erstellt. Diese Praxis generiert eine eigene Poetik der Notation, der Aufzeichnung.

Eine weitere Inspirationsquelle für Mahlknecht sind indische Kolams, das sind symmetrische Muster, die Frauen in Südindien täglich mit weißem oder auch gefärbtem Reismehl im Eingangsbereich ihrer Häuser zeichnen. ... komplexe Strukturen, die sich mittlerweile mathematisch beschreiben lassen.
Mahlknecht sagt, sie holt sich gern Inspirationen von Dingen und Praktiken die nicht unbedingt aus der Kunst kommen, ...