Felix Phillip Ingold 1999

Felix Philipp Ingolf:  Botschaft gegen Botschaft
Robert Kelly im Dialog mit Brigitte Mahlknecht

Rezension zum Buch " The Garden of Distances", NZZ 1999

Das Bildgedicht ist ein althergebrachtes auch heute produktives Genre lyrischer rede. Hunderte, Tausende von einschlägigen Texten aus unterschiedlichen Sprach und Kulturbereichen liessen sich zusammenführen in einer alle Epochen übergreifenden einschlägigen Anthologie. Konzeptuell ist das Bildgedicht darauf angelegt, ein bestehendes Kunstwerk – Gemälde oder Grafik, Skulptur oder Architektur – verbal zu vergegenwärtigen, sei´s durch poetische Umschreibung, durch Anspielung, durch Evokation, sei´s durch Übertragung bildnerischer Strukturmerkmale auf den Sprachtext. In aller Regel wird dabei die Kenntnis jener Bildwerke vorausgesetzt, auf die sich die Gedichte beziehen.

Ein Bildgedicht, dessen Vorlage im Bewusstsein des Lesers nicht präsent wäre, liesse sich von einem gewöhnlichen Ding- oder Naturgedicht kaum unterscheiden. Eben deshalb werden in Bildgedichten immer wieder dieselben weithin bekannten Werke thematisiert – Breughels „Landschaft mit Sturz auf Ikarus“, Leonardos „Mona Lisa“, Giorgiones „Gewitter“, Piranesis „Kerker“, Hokusais „Grosse Woge“, Böcklins „Toteninsel“, Picassos „Guernica“ etwa gehören dazu. Wo aber – umgekehrt – auf zeitgenössische, noch nicht allgemein rezipierte Kunstwerke Bezug genommen wird, kann das Bildgedicht nur dann adäquat funktionieren, wenn gleichzeitig auch sein Gegenstand dem Leser vor Augen steht.

Dem haben die Südtiroler Malerin Brigitte Mahlknecht und der amerikanische Dichter Robert Kelly Rechnung getragen, als sie sich im Sommer 1998 vornahmen, den „Prozess des Bild- und Textmachens“ kurzzuschliessen und aus diesem intermedialem Kurzschluss ein gemeinsames Buchwerk entstehen zu lassen. Das Projekt bestand darin, auf dem Korrespondenzweg einen dialogischen Bild-Text zu entwickeln, bei dem im Unterschied zum traditionellen Bildgedicht, Text und Bild ständig in Evidenz gehalten, in immer wieder neuen Konstellationen gebracht werden sollten. Auch hier gab freilich eine Bildvorlage den Erstimpuls zur Textentstehung, in der Folge wurde dann aber „Antwort auf Antwort getürmt“, das heisst – der Dichter reagierte auf die jeweilige Vorlage der Künstlerin, diese wiederum reagierte auf die verbale Reaktion des Dichters, der seinerseits auf die nachfolgende bildnerische Reaktion reagierte; und so fort.

Innert weniger Monate konkretisierte sich das Projekt per Fax zwischen New York, Annandale on Hudson und Bozen. Rasch, zwanglos, wechselseitig sich durchdringend wucherten Brigitte Mahlknechts zeichnerische Botschaften und Kellys dichterische Rückmeldungen zu einem weitläufigen Gewebe aus, dessen variable fluktuierende Struktur im Korrespondenzverlauf mehr und mehr verfeinert, hin und wieder aufgerissen, neu perspektiviert, thematisch erweitert wurde. Die formale und motivische Vielfalt des bereits im Herbst 1998 in Wien fertiggestellten Bildtextes ist das Ergebnis einer produktiven Vorentscheidung der beiden beteiligten Korrespondenten: Statt auf die übermittelten Vorlagen – ob Text oder Bild – kommentierend einzugehen, gehen sie imaginierend davon aus, nutzen sie als Plattform, um assoziativ immer wieder andere Einzugsgebiete zu erschliessen.

So erwächst das Werkganze, thematisch wie auch strukturell, um lauter Ab- und Ausschweifungen, die sich dennoch zu einem kohärenten, wenngleich sehr lockeren Textil verschlingen. - Rund drei Dutzend Zeichnungen hat Brigitte Mahlknecht in die Bild-Text-Korrespondenz mit Robert Kelly eingebracht – teils flüchtig hingekritzelte, teils sorgsam ausgearbeitete Blattwerke, die allesamt netz- und rasterartig angelegt, bald rein ornamental ausgeführt, bald mit figurativen oder skripturalen Elementen durchsetzt sind. Dieser Bildkonzeption entspricht Kellys mäandernder Gedichttext, der sich nun in der Buchausgabe auf über 200 Druckseiten in unterschiedlichsten Formen und Stadien ausprägt, der lyrische Zyklen und tagebuchartige Notizen, szenische und narrative Sequenzen zusammenschliesst, der Grossstadt- und Liebesthematik, Natur- und Kunstreflexion, philosophische und wortspielerische Aphoristik souverän synthetisiert, der auch den Alltags- und Gefühlskitsch nicht scheut, der Triviales und Erhabenes gleichermaßen in sich aufnimmt. Als eine „Botschaft gegen Botschaften“ möchte Kelly sein Geschriebenes verstanden wissen, mithin als etwas Widerständiges im stetig anschwellenden Informationsstrom, als einen Versuch, die Flut der Zeichen und Bedeutungen kritisch zu unterlaufen, sie durch sinnliche Wahrnehmung zu konterkarieren: „Don´t / make sense, make difference..../ keep / just the sense of difference, / the sense of skin / on which the spilled ink pours.“